Nur 18 Sekunden bis zur Bewusstlosigkeit | Telepolis

2022-08-26 21:55:34 By : Mr. Evan Wu

NTSBAsiana214Interior2_cropped.jpg:Bild: NTSB/gemeinfrei

Sie befinden sich im Verborgenen, doch manchmal fallen sie plötzlich von der Decke: Sauerstoffmasken in Flugzeugen. Wie funktionieren diese Masken eigentlich? Und was sollte man unbedingt beachten?

"Im unwahrscheinlichen Fall eines Druckverlusts fallen automatisch Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke. Ziehen Sie die Maske ganz zu sich heran und drücken Sie sie fest auf Mund und Nase. Atmen Sie normal weiter. Helfen Sie danach Kindern und hilfsbedürftigen Menschen."

Jeder, der schon mal mit einem Flugzeug unterwegs war, kennt diese Sicherheitseinweisung. Beim ersten Mal hören wir vielleicht noch aufmerksam zu, danach erzeugen diese Sätze so viel Aufmerksamkeit wie eine Rede im Bundestag. Klar, meistens geht der Flug ja auch glatt über die Bühne. Aber was passiert, wenn tatsächlich ein Druckabfall in der Kabine einsetzt? Wie funktionieren diese Sauerstoffmasken?

Wenn das Flugzeug seine Reiseflughöhe von 8 bis 12 Kilometern erreicht hat, herrscht in der Kabine ziemlich "dünne Luft". Wenn man in einem Flugzeug sitzt, dann ist das so, als würde man Mexiko-Stadt besuchen, das 2,3 Kilometer über dem Meeresspiegel liegt. Bei diesen Druckverhältnissen hat der menschliche Körper ein Viertel weniger Sauerstoff zur Verfügung, was jedoch zum Atmen ausreicht. Wenn das Flugzeug aber eine Flughöhe von 12 Kilometern überschreitet, so dass in der Kabine - trotz Ausgleichssystem - kritische Druckverhältnisse herrschen wie in 4,3 Kilometern Höhe, wird automatisch ein interner Alarm ausgelöst. Dasselbe passiert, wenn in der Außenwand ein Loch entsteht, eine Tür nicht richtig schließt, das Ausgleichssystem versagt oder eine Explosion stattfindet und es zum Druckabfall kommt.

Der Alarm lässt sofort die Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke purzeln. Die Flugbegleiter sagen, man solle die Masken an sich "heranziehen". Nicht ohne Grund: Erst dann, wenn man an der Maske zieht, wird ein Sicherheitsstift gelöst, so dass der Sauerstoff ausströmen kann. Eigentlich müsste es in der Sicherheitseinweisung heißen, dass man "ruckartig, aber nicht zu fest" ziehen soll.

Über den Sitzen befinden sich allerdings keine Sauerstoffflaschen. Stattdessen ist über jeder Dreiersitzreihe ein chemischer Sauerstoffgenerator angebracht. Dieses Fläschchen von 25 Zentimeter Länge und 7 Zentimeter Breite versorgt drei Fluggäste über vier Masken - für ein eventuell anwesendes Baby - mit Sauerstoff. Aber wie? Durch eine chemische Verbrennung.

In den Flaschen befindet sich Natriumchlorat. Wenn man Natriumchlorat auf 478 Grad erhitzt, reagiert es zu Salz und Sauerstoff. Sobald der Sicherheitsstift gelöst wird, kommt es im Inneren des Generators zu einem Funkenschlag. Der Funke startet die Verbrennung des Natriumchlorats, als Brennstoff fungiert reines Eisen. Der Generator in der Kabinendecke wird dabei, trotz seiner Isolationsschicht, um die 260 Grad heiß. Auf seinem Weg durch den dünnen Plastikschlauch kühlt sich der Sauerstoff binnen Sekundenbruchteilen auf das Niveau der Raumtemperatur ab.

Allerdings sollte man wegen der hohen Temperatoren des Generators unter keinen Umständen an der Decke rumfuchteln, wenn die Masken rausfallen - zumal die ausgelöste chemische Reaktion nicht mehr gestoppt werden kann. Sie ist auch der Grund dafür, dass die eingeatmete Luft leicht verbrannt riecht, was bei den Passagieren oft zu Panik führt, aber vollkommen normal ist. Ebenso normal ist, dass sich die Plastikhülle an der Maske - wegen der Druckverhältnisse - nicht mit Luft auffüllt. Angesichts der zusammengeschrumpelten Plastikhülle sollte man keineswegs die Maske vom Gesicht reißen: sie funktioniert.

Sobald die chemische Reaktion begonnen hat, versorgt einen die Maske etwa 12 bis 15 Minuten mit Sauerstoff. Das klingt nach einer kurzen Zeitspanne. Doch wenn es zu einem Druckabfall in der Kabine kommt, werden die Piloten sofort einen steilen Sinkflug einleiten, um das Flugzeug auf eine Höhe von 3 Kilometern zu bringen. Don’t panic! Auch wenn es sich so anfühlen mag: Das Flugzeug stürzt nicht ab. Und wegen Druckabfällen in der Kabine kommt es extrem selten zu Abstürzen. Ja, selbst die Druckabfälle sind selten: Jährlich gibt es rund 41 Millionen Flüge weltweit, aber statistisch gesehen purzeln die Sauerstoffmasken nur bei etwa 70 Flügen aus der Decke.

Die chemischen Sauerstoffgeneratoren kommen auch in U-Booten, im Bergbau und auf Raumstationen zum Einsatz und arbeiten sehr zuverlässig. Ab Werk haben sie eine Laufzeitgarantie von 15 Jahren und müssen nur selten gewartet werden. Über den Köpfen der Piloten sind übrigens keine chemischen Generatoren, die Piloten haben für den Notfall Gasflaschen und können 60 Minuten mit Sauerstoff versorgt werden. Einige Länder wie die USA haben verschärfte Vorschriften: Verlässt der Pilot oder der Copilot das Cockpit, muss die verbleibende Person im Cockpit eine Sauerstoffmaske tragen.

"Rettet zuerst die Kinder", heißt es oft in Actionfilmen. Allerdings sollte man den Rat der Sicherheitseinweisung beherzigen und sich die Maske zuerst selbst aufsetzen. Wenn es auf einer Flughöhe von 10 Kilometern zu einem rapiden Druckabfall kommt, müssen Sie nämlich schnell handeln: Übelkeit und starke Kopfschmerzen setzen binnen Sekunden ein. Sie werden nur höchstens 18 Sekunden bei vollem Bewusstsein sein. Nach diesen 18 Sekunden werden Sie sich nur sehr eingeschränkt bewegen und logisch denken können, schlimmstenfalls werden Sie gleich ohnmächtig.

Hm, aber ich kann doch in meiner Badewanne über eine Minute lang die Luft anhalten, mögen Sie einwenden. Ja, weil Ihre Lunge auf Meeresniveau immer etwas Rest-Sauerstoff birgt. Bei den Druckverhältnissen in 10 Kilometern Höhe sind Ihre Lungen quasi leergedrückt, einzig der minimale Restsauerstoff in Ihrem Blut kann Sie für ein paar Sekunden versorgen. Deshalb sollte sich ein Erwachsener zuerst die Maske aufsetzten, um dann Kinder und Bedürftige versorgen zu können - umgekehrt könnte es lebensbedrohlich werden.

Entgegen den Actionszenen aller Hollywood-Filme: Bei einem Brand im Flugzeug fallen keine Masken von der Decke. Denn das Feuer könnte durch den zusätzlichen Sauerstoff weiter beschleunigt werden. Sollten es die Crew oder die Piloten aber für lebensnotwendig erachten, dass die Masken wegen der Rauchentwicklung dennoch aktiviert werden, so können sie den Mechanismus manuell über einen Knopf im Cockpit auslösen.

In Langstreckenflugzeugen gibt es manchmal auch zentral gelagerte Gasflaschen mit einem Fassungsvermögen von je 6.000 Litern, die die Passagiere direkt mit komprimiertem Sauerstoff versorgen. Im Vergleich zu den chemischen Sauerstoffgeneratoren handelt es sich dabei um eine sehr aufwendige und teure Technik. Die Generatoren wiederum kommen auf fast allen Kurz- und Mittelstreckenflügen zum Einsatz, zum Beispiel bei Flügen mit einem Airbus der A320-Familie innerhalb Europas.

Im modernen Filmklassiker Fight Club behauptet der Protagonist Tyler Durden: "Wissen Sie, warum es an Bord Sauerstoffmasken gibt? Von Sauerstoff wird man high. Bei Stress im Katastrophenfall wird die Atmung tiefer als sonst. Ganz schnell wird man euphorisch, gefügig, akzeptiert sein Schicksal. Notwasserung mit 900 Kilometern pro Stunde. Ausdruckslose Gesichter, gelassen wie Hindu-Kühe."

Wissenschaftlich gesehen ist das Quatsch: Kurzfristig euphorisch und benebelt werden Sie bei einem Druckabfall eher, wenn Sie die Maske nicht aufsetzen - bevor Sie dann nach 18 Sekunden ohnmächtig werden. Die Masken machen also keine Hindu-Kühe aus uns. Aber sie retten jährlich Menschenleben.

Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.

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